Die "Auszeit zwischen den Jahren"

Was sonst in der Kirche war, hier online: 

Gedanken zum Programm der "Auszeit"

In seiner Übersetzung der Weihnachtsgeschichte in Lukas 2 lässt Luther zuerst einen einzelnen und dann die Menge aller Engel sprechen. Und die Betonung liegt hier auf sprechen. „FÜRCHTET EUCH NICHT /SIHE / JCH VERKÜNDIGE EUCH GROSSE FREUDE / DIE ALLEM VOLCK WIDERFAREN WIRD / DENN EUCH IST HEUTE DER HEILAND GEBORN / WELCHER IST CHRISTUS DER HERR / IN DER STAD DAUID / Vnd das habt zum Zeichen / Jr werdet finden das Kind in windeln gewickelt / vnd in einer Krippen ligen“ ... und „EHRE SEY GOTT INDER HÖHE / VND FRIEDE AUFF ERDEN / VND DEN MENSCHEN EIN WOLGEFALLEN“ wird hier gesagt. Noch einmal: die Betonung liegt auf gesagt. Als Luther 1533 oder 1534 für seine Kinder das Weihnachtslied „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ schreibt, gesellt sich zum Sagen das Singen. Und so, wie man den praktischen Theologen und Musiker Luther kennt, hält sich in seiner Vorstellung beides die Waage. Und wenn der Engel in seinem Lied ankündigt, von der frohen Botschaft singen und sagen zu wollen, könnte man fast annehmen, dass das Singen für Luther sogar noch ein wenig über dem Sagen steht, denn es steht hier an erster Stelle. Jede und jeder wird für sich selbst wissen, was sie oder ihn mehr berührt: das gesprochene oder das gesungene Wort. Im nachfolgenden Gang durch die Weihnachtsgeschichte wird nur gesungen: von der Verkündigung des Engels an Maria zu Beginn bis zum Leuchten des Morgensterns am Schluss. Auf längere Kommentare zu den einzelnen Stücken möchte ich hier verzichten. Wer sich für Texte, Komponisten oder Hintergründe interessiert, wird in seiner Bibliothek und spätestens im Internet fündig und kann dabei sogar noch einen ganz eigenen Weihnachtsweg zurücklegen. Als ein intensiver Text kommt hier ein kleiner Ausschnitt aus der Autobiographie von Karl May. Als Knabe sang er im thüringischen Ernstthal in einer Kurrende, hatte Orgelunterricht und komponierte. Und über seine Kurrendezeit schreibt er Zeilen, bei denen mir immer noch die Stimme bricht, wenn ich ihn vorlese: „Ein anderer dieser Gebräuche war der, daß am ersten Weihnachtsfeiertage jedes Jahres während des Hauptgottesdienstes der erste Knabe der Kurrende die Kanzel zu besteigen hatte, um die Weissagung des Jesaias Kap. 9 Vers 2 bis mit Vers 7 zu singen. Er tat dies ganz allein, mit milder, leiser Orgelbegleitung. Es gehörte Mut dazu, und es kam nicht selten vor, daß der Organist dem kleinen Sänger zu Hilfe zu kommen hatte, um ihn vor dem Steckenbleiben zu bewahren. Auch ich habe diese Weissagung gesungen, und genau so, wie die Gemeinde sie von mir hörte, so wirkt sie noch heute in mir fort und klingt von mir hinaus bis in die fernsten Kreise meiner Leser, wenn auch in andern Worten, zwischen den Zeilen meiner Bücher. Wer als kleiner Schulknabe auf der Kanzel gestanden und mit fröhlich erhobener Stimme vor der lauschenden Gemeinde gesungen hat, daß ein helles Licht erscheine und von nun an des Friedens kein Ende sein werde, den begleitet, wenn er sich nicht absolut dagegen sträubt, jener Stern von Bethlehem durch das Leben, der selbst dann noch weiterleuchtet, wenn alle andern Sterne verlöschen.“

In diesem Sinne bitte ich, diese ganz besondere AUSZEIT zu verstehen.
Bleiben Sie und bleibt Ihr behütet.

Herzlich: Ihr und Euer Ludwig Audersch

Gedanken zu den einzelnen Stücken

01 Ein Marienlied aus dem Jahr 1500 wird zur Grundlage einer anrührenden Komposition. Die große Lutherorgel in Bestform.

VERKÜNDIGUNG

Johann Caspar Ferdinand Fischer (1656 bis 1746):

Ricercar „Ave Maria klare”

 

02 In unseren Gottesdiensten kommt das Magnificat, nach Dietrich Bonhoeffer das „leidenschaftlichste, wildeste, ja man möchte fast sagen revolutionärste Adventslied, das je gesungen worden ist“ so gut wie nicht mehr vor. Sehr schade. Hier erklingt es durch EG 308 in Variationen eines anonymen Komponisten aus Thüringen.

MAGNIFICAT

unbekannter thüringischer Komponist des 18. Jahrhunderts:
Choral und drei Variationen „Mein Seel, o Herr, muss loben dich“

 

03 Der alte Hymnus aus dem vierten Jahrhundert wurde zum Vorbild von Luthers „Nun komm der Heiden Heiland“. Erneut fiel mir beim Spielen die große Nähe zur Melodie unseres „Verleih uns Frieden gnädiglich auf“. Ein spannender Zusammenhang.

ERWARTUNG

Samuel Scheidt (1587 bis 1654):

„Veni redemptor gentium“

 

04 Bezaubernde Stille. Glück.

DIE GEBURT

Dieterich Buxtehude (um 1637 bis 1707):

„Puer natus in Bethlehem“

 

05 Unter den vielen Pastoral-Kompositionen die einzige mir bekannte in Moll. Ihr Komponist war Ordensgeistlicher in einem bayrischen Kloster. Er hat sich gut hineingedacht in die Stimmung der Hirten: „und sie fürchteten sich sehr“.

DIE HIRTEN I

Bruno Lehner (1721 bis 1764):
Pastorella

 

06 Pachelbel ist einfach genial. Aus dem Auftritt des einzelnen Engels macht er eine wunderbare „Szene mit Hirten“.

DIE ENGEL I

Johann Pachelbel (1653 bis 1706):
„Vom Himmel hoch, da komm ich her“

 

07 Nun kommen sie alle. Es strahlt und funkelt.

DIE ENGEL II

Andreas Armsdorff (1670 bis 1699):

„Allein Gott in der Höh sei Ehr“

 

 

 

 

 

 

08 Die uns bekannte und Johann Sebastian Bach zugeschriebene Melodie von „Ich steh an deiner Krippen hier“ findet sich nur in Schemellis Gesangbuch. Etliche andere sind überliefert. Im seinem Weihnachtsoratorium verwendet Bach diejenige von „Es ist gewisslich an der Zeit“, die ihrerseits als Grundlage einer ganzen Reihe anderer Texte dient. Schon wieder klingt es sehr nach Hirtenstimmung. Und vielleicht hat Johann Heinrich Buttstedt auch eher an unser Weihnachtslied gedacht.

AN DER KRIPPE

Johann Heinrich Buttstedt (1666 bis 1727):

„Ich steh an deiner Krippen hier“

 

09 Nun geht es auch den Hirten besser. Vielleicht haben sie auch einen kleinen Schwips: im originalen Themenkopf seiner kleinen Fuge bringt Seeger statt des „richtigen“ C immer ein „falsches“ Cis. Sehr lustig.

DIE HIRTEN II

Josef Ferdinand Norbert Seger (1716 bis 1782):

„Freu dich Erd und Sternenzelt“

 

10 Noch einmal Funkeln und Glänzen. Auch die drei weisen Männer sind am Ziel. Der  Stern war ihnen ein zuverlässiger Begleiter.

DIE WEISEN

Andreas Armsdorff (1670 bis 1699):

„Wie schön leuchtet der Morgenstern“